Noch jedes kĂŒnstlerische Handeln basiert auf PrĂ€missen. Die Tradition eines Mediums, das Wissen einer Generation, die Ausbildung zur KĂŒnstlerin, der Kanon eines Milieus, die Bedingungen einer Institution, die Vorgaben einer Raumsituation, die MachtverhĂ€ltnisse im Betrieb: Sie sind das, was kĂŒnstlerischen Entscheidungen vorausgeht und ihnen zugrunde liegt, und sie wurden lange Zeit als so selbstverstĂ€ndlich angesehen und behandelt, dass ihnen allenfalls eine implizite Bedeutung zukam. [ ⊠]
Mirjam Thomann teilt sehr entschieden die historisch entwickelte Aufmerksamkeit fĂŒr das Vor- liegende und Vorauszusetzende. Die UmstĂ€nde, denen sie auf dem Weg zu einem neuen Projekt, einer neuen Arbeit begegnet, werden nicht aus dem Weg gerĂ€umt, sondern neu konfiguriert, arrangiert, inszeniert, ergĂ€nzt. Dabei schöpft ihre kĂŒnstlerische Praxis, bewusst oder unbewusst, effektvoll aus der Etymologie des englischen âpremiseâ. Im Sinne der argumentativen Logik ist eine PrĂ€misse, auch im Englischen, die Voraussetzung, aus der sich eine Schlussfolgerung ablei- tet. âPremiseâ aber hat zudem juristische Bedeutungen. Das Wort bezeichnet dann zum Beispiel eine frĂŒher erwĂ€hnte Stelle in einem Dokument oder âa basis, stated or assumed, on which rea- soning proceedsâ â den Ort, auf den sich die juristische Argumentation bezieht, um ihre PlausibilitĂ€t zu gewinnen.
Ăber diese logisch-juridische Dimension hinaus kann mit âpremiseâ je nach Zusammenhang aber ĂŒberdies ein StĂŒck Land mitsamt der sich auf diesem befindlichen GebĂ€ude oder ein einzelnes GebĂ€ude, mitunter nur ein GebĂ€udetrakt gemeint sein. In diesem architektonisch- rĂ€umlichen Zusatzsinne entwickelt der Begriff der PrĂ€misse bei Mirjam Thomann eine besondere ErklĂ€rungskraft. Architektonisch-rĂ€umliche Gegebenheiten, âpremisesâ, begreift die KĂŒnstlerin als Stoff und Herausforderung. Es ist der Rahmen der Voraussetzungen. [ … ] Ihn anzuschauen, sich ihm zuzuwenden, ihn zu betreten sind potenzielle Handlungen. Die Gegebenheiten zeigen sich in ihrer Eigenschaft, etwas mit ihnen anstellen, sie wiederlesen, sie ĂŒberschreiben zu können. âPremisesâ wĂ€ren also dazu da, mit Situationen, Unvorhergesehenem, auch Leuten gefĂŒllt und erweitert zu werden [ … ] Dabei erhöhen die Zugabe oder der Entzug von Information die Begreifbarkeit der VerhĂ€ltnisse. Geschichte als Bedingung gegenwĂ€rtigen Handelns zu erkennen weckt politisches Interesse. Der White Cube ist ja, gegen alle anderslautenden Behauptungen, nie das, was er sein soll. In der Abweichung vom modernistischen Ausstellungskörper öffnen sich LĂŒcken fĂŒr Korrekturen an der Erfahrung, die diese zu einer Ă€sthetischen machen. [ ⊠]
Dem Ernst der Auseinandersetzung mit dem Vorliegenden korrespondiert [dabei] eine spielerische, bisweilen ins Unernste kippende Mischung aus Reverenz und Irreverenz. Die PrĂ€missen und âpre- misesâ werden geschĂ€tzt, im doppelten Sinne von gemocht und taxiert. In Thomanns interessierten Zuwendungen liegt immer auch ein Blick fĂŒr SchwĂ€chen und unausgeschöpfte Potenziale.
Auszug aus: Tom Holert, âMachen wir uns etwas vor. Zu vier Dimensionen der Kunst von Mirjam Thomannâ, in: 2015 Mirjam Thomann, hg. von Eva Maria Stadler und Mirjam Thomann, Berlin (Sternberg Press) 2015.
Werke
Werke
Biografie
Mirjam Thomann
Lebt und arbeitet in Berlin.
1978 geboren in Wuppertal, Deutschland
2000-2006 Hochschule fĂŒr Bildende Kunst, Hamburg
1998-1999 Kingston University of London
Ausstellungen
2023 | âAllianceâ Gallerie Nagel Draxler, Munich |
2022 | “Theory and Action”, Galerie Nagel Draxler, Köln |
“3 Months Later” mit / with Nora Schultz, Klosterruine, Berlin | |
2020 | “Scarecrow”, Uferhallen Berlin |
2018 | “Meeting With The Other As Such, But Still”, mit / with Natalie Czech, BĂ€renzwinger, Berlin |
âTenibacâ Nagel Draxler Kabinett, Berlin | |
2016 | “Women and Space”, Galerie Krobath, Wien |
2015 | âBetter Livingâ, Galerie Nagel Draxler, Berlin |
2013 | âArt im Dumont-CarrĂ©â, w/ Kalin Lindena, Galerie Nagel Draxler im Dumont-CarrĂ©, Köln |
2012 | âGood news-I hear the paradigm is shiftingâ, Galerie der Stadt Schwaz, Schwaz |
âOut of Shapeâ, Lichthaus Arnsberg, Arnsberg | |
âNew Positionsâ, Art Cologne, Stand Galerie Christian Nagel, Köln | |
2011 | âCheck Roomâ, 4D, Berlin |
2010 | âAufstellungâ, Galerie Christian Nagel, Berlin |
2009 | âShapes, Dimensions, Possibilitiesâ, Casco â Office for Art, Design and Theory, Utrecht, Niederlande |
2008 | âNew Workâ, Galerie Christian Nagel, Köln |
âThe Masking Pieceâ, w/ Carola Wagenplast, Pudelkollektion, Golden Pudel Club, Hamburg | |
âPlaces and Namesâ, w/ Jan Timme, Rental Gallery, New York | |
âThe System Grows To Meet Requirementsâ, Galerie Durstewitz-Sapre, Hamburg | |
2007 | âno projects were undertaken, dazwischen#2âł, mit Karolin Meunier, White Space, ZĂŒrich |
2006 | âshift (inbetween)â, Diplomausstellung Hochschule fĂŒr bildende Kunst, Hamburg |
2003 | âBetter than life (my postmodernism)â, Av, Hamburg |
Gruppenausstellungen
2022 | “Going Down in the West”, Horse & Pony, Berlin |
“I call Ludwig. Works from the SteDi Foundation”, Rosa Luxemburg Platz, Berlin | |
2021 | “Tribunalism â The Case of Art”, Kunstraum Leuphana UniversitĂ€t, LĂŒneburg |
“Strike a pose”, K21, DĂŒsseldorf | |
“1ST MESEBERG INTERNATIONAL FOR CONTEMPORARY ART”, Galerie Nagel Draxler, Meseberg, Gransee | |
âfahrradkörperâ, Haus Coburg, Delmenhorst | |
âHome, sweet home … oder unterdrĂŒckte, wertkonservative Sehnsuchtâ, Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin | |
2020 | “Uferhallen-Manifest”, Uferhallen, Berlin |
“Wand an Wand an Wand”, Studio im Hochhaus, mit / with Heike Baranowsky, Veronika Kellndorfer, Berlin | |
“Times in Crisis”, Klosterruine Berlin | |
2019 | “Imprint of Void”, Lovaas Projects, MĂŒnchen |
2018 | “MILIEU at After the Butcher, Berlin” (Katharina Aigner, Maria Eichhorn, Stephanie Taylor, Mirjam Thomann, titre provisoire, Jenni Tischer) |
“Milieu”, Galerie Krobath, Wien | |
“Thick Space”, Artistic Interventions on the Occasion of the Conference â(In)formal Learningâ, Campus der Ruhr-UniversitĂ€t Bochum | |
Curatorial Learning Space, Campus der Humanwissenschaftlichen FakultÀt der UniversitÀt zu Köln | |
“Wiener Raum”, UniversitĂ€tsgalerie der Angewandten, Wien | |
2017 | “Hidden Lines of Space”, L40 â Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin |
“Odyssee”, Möhnesee, Körbecke, organisiert von Kunstverein Arnsberg, Arnsberg | |
2016 | “Unknown Landscape. North Coast Art Triennale”, Gribskov |
2015 | âWo ist hier? #2: Raum und Gegenwartâ, Kunstverein Reutlingen, Reutlingen. |
âGehâ und spiel mit dem Riesen. Kritik und Emanzipation von Kindheitâ, Villa Stuck, MĂŒnchen | |
âFinal Projects Exhibitionâ, Mackey Apartments and Garage Top, Los Angeles | |
âSuperselecto, Selecto Planta Bajaâ, Los Angeles und / and Kunstraum Super, Wien/Vienna | |
2013 | âRisk Society. Individualization in Young Contemporary Art from Germanyâ, MOCA Museum of Contemporary Art, Taipei |
ff Collaborations (TemporÀre Autonome Zone), Galerie im Körnerpark, Berlin | |
âFestival der Kleinskulpturâ, Halle fĂŒr Kunst, LĂŒneburg. | |
âNeue Wareâ, Galerie Christian Nagel, Köln | |
2012 | âPublic Abstraction, Private Construction IV Vâ, Kunstverein Arnsberg, Arnsberg |
âforming norming performing stormingâ, Galerie Christian Nagel, Antwerpen | |
2011 | âThe Grand Domestic Revolution. Project Exhibitionâ, Casco, Volksbuurt Museum, De Rooie Rat, Utrecht, Niederlande |
âB_Booksâ, Lothringer Halle 13, MĂŒnchen | |
âMalerei. Konkret. Analytisch. Radikal. Oder soâ, Overbeck-Gesellschaft, LĂŒbeck | |
2010 | âJahresgaben 2010âł, WestfĂ€lischer Kunstverein, MĂŒnster. |
âDer diskrete Charme des blinden Flecksâ, WestfĂ€lischer Kunstverein, MĂŒnster | |
âMan könnte es auch die ElastizitĂ€t des Raumes nennenâ, Forgotten Bar und Bibliothekswohnung, Berlin | |
âParadise Lost â Holidays in Hellâ, Centro Cultural Andratx, Mallorca, Spanien | |
2009 | 2009 |
âZeigen. Eine Audiotour durch Berlin von Karin Sanderâ, TemporĂ€re Kunsthalle Berlin | |
âThe curtains close on a kissâ, Galerie Durstewitz-Sapre, Hamburg | |
âGalerie Christian Nagel zu Gast in Wienâ, KunstbĂŒro, Wien | |
âProjektraum Kunsthalle Mannheimâ, Kunsthalle Mannheim, Ausstellungsarchitektur (zusammen mit Jochen Schmith) | |
2008 | âWunderkammer LĂŒneburg. Jahresgaben 2008â, Halle fĂŒr Kunst, LĂŒneburg |
âSoziale Diagramme. Planning Reconsideredâ, KĂŒnstlerhaus Stuttgart, Stuttgart | |
2007 | âJahresgaben 2007 / 2008âł, Kunstverein in Hamburg, Hamburg |
âGemischtes Doppelâ, Kunstverein in Hamburg, Hamburg | |
âKunststudentinnen und Kunststudenten stellen ausâ, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn | |
2006 | âBewerber und Bewerberinnen fĂŒr die Hamburger Arbeitsstipendien fĂŒr bildende Kunst 2007âł, Kunsthaus Hamburg, Hamburg |
âJahresgaben 06 / 07âł, Kunstverein Braunschweig, Braunschweig | |
âLandungsbrĂŒckenâ, Atelierfrankfurt, Frankfurt/Main | |
2005 | âAkademie. Kunst lehren und lernenâ, (Modulator, Gemeinschaftsarbeit der Klasse Eran Schaerf), Kunstverein in Hamburg, Hamburg |
âpost-double-super-high-openingâ, Galerie der Hochschule fĂŒr bildende Kunst, Hamburg | |
2004 | âNOT IN MY NAMEâ, KX, Hamburg |