Hertha Hurnaus
Über die Ausstellung
Untergründig
Oben glitzern die Luster, alles drängt ins Rampenlicht. Unten ist es still und kühl, ohne Prunk und Publikum. Zwölf Meter unter dem Wiener Null spielt es keine Rolle, welche Vorstellung oben gerade läuft. In den Tiefgeschossen der Ringstraßenbauten bleiben die dienstbaren Räume still unter sich. Hier, an der Unterseite des Geschehens, vollzieht sich die Mechanik der Vorgänge unbemerkt. Diese Unmerklichkeit ist ihr Zweck, geht es doch in den geräuschempfindlichen Monumentalbauten vor allem um haustechnische Reibungslosigkeit, um lautlose Frischluftversorgung, Heizung und Kühlung, darum, dass in den Prunkräumen oben niemandem der Atem ausgeht.
All die Lüftungsgänge, Frischluftschleusen und Kapillarschächte, Requisitenmagazine und Kulissendepots, Heizzentralen und Zisternen bilden unter der Ringstraße eine Welt für sich, mit einer eigenen Ikonografie und Monumentalität, die sich an niemanden wendet. Diese Räume repräsentieren nicht, sie sind.
Wer in diesen Untergrund abtaucht, bewegt sich durch die Glieder eines riesigen Apparats und macht sich automatisch zum Komplizen einer Mechanik, die das Funktionieren der Prachtbauten sichert. Mit Selbstverständlichkeit setzt das technische Personal im tiefsten Kellergeschoß die Abläufe in Gang, öffnet im richtigen Moment die Schleusen, kurbelt an einem Zahnrad, kennt jeden Winkel im Geflecht einer vielfach geflickten Infrastruktur. Vereinzelt herumstehende Truhen, Sessel und Bänke zeugen von menschlichem Aufenthalt, beiläufig und ohne Anspruch zu bleiben. Bisweilen taucht unvermittelt die heimelige Nische eines Arbeitsplatzes auf, Tisch, Stuhl, Lampe, Jause, fern jeden Tageslichts, surreal in seiner Normalität. Oft muss man nur eine unscheinbare Tapetentür durchschreiten, um sich auf der Hinterbühne eines Historismus wiederzufinden, dessen Fassade sich als papierdünne Kulisse erweist. Hinter und unter der Bühne, auf der „Wien“ aufgeführt wird, findet die perfekt ausgeleuchtete Inszenierung der Ringstraße ihr Gegenstück. Schächte und Gänge, kathedralenhafte oder klaustrophobische Tunnel der Zirkulation, verschlungene Wege der Frischluft von irgendwo nach irgendwo, aufgeladen mit Nichts. Selbst in den Räumen, die nur ihr vorbehalten sind, bleibt die Technik oft rätselhaft oder ganz unsichtbar. Kabel und Rohre tauchen auf und verschwinden wieder, rostige Scharten im Boden zeugen als archäologische Spuren von obsoleten Turbinen. Dazu mischen sich Spuren der Geschichte, die hier nicht überschminkt wurden. Notizen an den Wänden, Pfeile zu Fluchtwegen der Vergangenheit, längt vergessene technische Geheimcodes. Der Untergrund des Rings – ein Reservat der verdrängten Erinnerungen.
Gabriele Kaiser, Maik Novotny
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